–– MAGISCHE MOMENTE

 

Jeder kennt diese magischen Momente am anbrechenden Morgen: Das erste zarte Licht der Dämmerung beginnt den Horizont zu erhellen. Zögerlich zeichnen sich silhouettenhaft vage Konturen in der Landschaft ab, aber noch staffelt sich alles in unterschiedlichen Grautönen. Und dann, ganz langsam, Nuance für Nuance, kristallisieren sich im Morgenlicht die ersten Farben heraus. Je heller es wird, desto kräftiger werden sie und Stück für Stück verwandeln sich die Konturen in erkennbare Formen. Sobald sich dann die ersten direkten Sonnenstrahlen mit ihrem warmen Streiflicht dazumischen, gewinnen diese Formen immer mehr an Substanz und Festigkeit. Sie fangen an, räumlich zu wirken, und auch die Oberflächen nehmen deutliche Texturen an. Dieses feine, immer wiederkehrende Schauspiel fasziniert mich. Es regt meine Farbsinne an und inspiriert mich zutiefst.

Dieses stetige Sich-Verändern von Farben reizt mich, eine entsprechende Form- und Farbsprache zu entwickeln und dies auch in meiner Malerei umzusetzen.

 

–– FARBEN IN BEWEGUNG

In der Farbfeldmalerei eines Mark Rothko beispielsweise begeistert mich dieses Pulsieren der Farben, das er durch seinen speziellen Farbauftrag erreicht, dieses scheinbare Schweben von Farbflächen in anderen Farbflächen. Mich aber interessiert noch mehr die Möglichkeit, Farben nicht nur schweben zu lassen, sondern sie auch real sich ausdehnen und verändern zu lassen. Farben auf die Leinwand zu setzen, die in Bewegung sind, die atmen und pulsieren. Farben, die an Fläche gewinnen und sich wieder zurückziehen können, die in ihrer Tonalität nicht eindeutig bestimmbar sind – ein kühles Türkisblau ist nicht unbedingt nur ein Türkisblau, sondern kippt mitunter ins Silbergrüne oder verwandelt sich in ein dunkles Violettrot. Um diesen Wandel in den Farben auf meinen Bildern erleben zu können, braucht der Betrachtende nur seinen Standpunkt vor dem Bild zu verändern, nach rechts, links, oben oder unten. Je nach Lichtverhältnissen und Blickwinkel auf das Bild erscheint es farbig sehr unterschiedlich und es treten verschiedenste, oft unerklärliche Farbverwandlungen auf. Dadurch kommuniziert das Bild direkt aktiv mit dem Betrachtenden und tritt mit ihm in einen zunächst oft unerwarteten Dialog.

 

–– GEHEIMNIS DER REFLEXION

Ich male mit Licht und mit Farbe. In den letzten 20 Jahren habe ich mich ausschließlich damit auseinandergesetzt, farbiges Licht in meine Malerei einzubeziehen. Dies erreiche ich durch Verwendung von Interferenzpigmenten, Pigmente, die keine Eigenfarbe haben, aber die Eigenschaft besitzen, farbiges Licht zu reflektieren ähnlich winziger Prismen.

Diese Pigmente, kombiniert mit herkömmlichen Farbpigmenten, verarbeite ich in einem äußerst komplexen, lasierenden Farbauftrag mit oft mehr als 70 Schichten. Das ermöglicht mir, auf einem Bild farbiges Licht und Pigmentfarbe gleichzeitig wirken zu lassen und somit eine unvergleichliche Wandelbarkeit der Farben zu erzielen.

Aber auch eine räumliche Dimension der Farben auf einer an und für sich flachen, straff gespannten Leinwand zu erreichen reizt mich sehr. Keine Zentralperspektive, sondern ein präzise geführter Pinselstrich, dessen Spur Licht zu bündeln vermag, bewirkt ein Nach-vorn- oder Nach-hinten-Treten des Bildzentrums.

Seidenartig mag die dadurch entstandene Textur erscheinen, teils durchzogen von radialen Linien, die erhaben sind oder auch als Kratzspuren auftreten können, dann wieder auch als beinah spiegelglattes Feld, aber immer mit einer Oberfläche, die auch die haptische Wahrnehmung anspricht, da das Auge nicht gänzlich zu erklären vermag, was es sieht.

Neugierde möchte ich wecken, um ein aktives Erforschen des Bildes anzuregen, nicht nur den Sehsinn ansprechen, sondern ein ganzheitlicheres Erfahren im Dialog mit dem Bild möglich machen.

 

Robert Schaberl © 2019